Florian:
Bei Tagesanbruch sind wir von Port Tarrafal auf San Nicolau nach Mindelo aufgebrochen. Anfangs war wenig Wind. Dennoch sind wir mit gerefften Segeln Richtung Westkap gesegelt, um vor allfälligen Fallböen gewappnet zu sein. Beim westlichen Kap kam dann ganz plötzlich sehr starker Wind auf. Fliegendes Wasser, Welle 2 Meter, ESPERANZA krängt massiv. Wir rollen die gereffte Fock weg, ich muss zum Mast um das Groß noch weiter zu reffen. Es haut uns herum und die Wellen gehen übers Deck. Und ich habe Angst!
Angst ist ein schlechter Begleiter. Man wird unsicher und begeht dadurch leichter Fehler – und Fehler werden bei starkem Wind meistens mit kaputtem Material oder Verletzungen bezahlt. Beides keine netten Aussichten zu zweit am Schiff.
Als ich das Groß im zweiten Reff hatte, zurück im Cockpit war und die Fock auch im 2. Reff war, verordnete ich mir eine Therapiesitzung gegen meine Angst. Mit Segeljacke, Südwester, Rettungsweste und Lifebelt blieb ich im Cockpit und beobachtete die ESPERANZA, wie sie ihre Arbeit verrichtete.
Mit zwei Fetzerl Segel segelten wir bei zumindest 25 Knoten mit 6-7 Knoten Raumschot Richtung Mindelo. Immer wieder kam eine Welle über oder klatschte gegen die Bordwand, sodass ich die Gischt heftig abbekam. Rechtzeitig den Rücken zur Gischt machte dies dank guter Segeljacke nichts. Die ESPERANZA krängte oft bis die Bordkante unter Wasser war. Dennoch zog sie gemächlich ihre Bahn durch den aufgewühlten Atlantik.
Vorbei gings an den beiden winzigen Inseln Ilha Razo und Ilha Branco und dann hatten wir auch schon die Insel Santa Luzija querab. Wir kamen trotz der schweren See gut voran – und ich beruhigte mich immer mehr und legte meine Angst mehr und mehr ab. Als wir den Kanal zwischen Santa Luzija und San Vicente querten wurde die See noch rauer – Welle 2-3 Meter, völliges Durcheinander, Kreuzseen – starke Strömung. Auch das absolvierte die ESPERANZA mit Bravour. Als wir San Vicente querab hatten reduzierte sich der Wind, sodass wir schließlich das Groß ins erste Reff ausreffen konnten und letztlich sogar die Genua setzen konnten. Wir hielten die Geschwindigkeit von 6-7 Knoten über die gesamte Distanz.
Im Kanal zwischen San Vicente und San Antao – bekannt durch starke Strömung und massive Düseneffekte – bereits in der Annäherung an Mindelo rollten wir die Genua weg (wieder um den zu befürchtenden Böen zuvor zu kommen). Plötzlich drehte der Wind 90 Grad, das Groß schlug auf die andere Seite um, und dann drehte er neuerlich und das Groß ging wieder zurück. Ich „entließ“ den Autopiloten und steuerte von Hand die letzten Meilen in die Bucht von Mindelo – heftige Fallböen begleiteten uns.
Und dann waren wir angekommen. Meine Angst war großteils besiegt – Patient überwiegend geheilt. Und wenn die Angst wieder kommt – die Segeljacke hängt eh immer griffbereit – dann sitze ich eben wieder draußen und halte meine Stirn in den Wind.